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Ulrich Schmidt | Thomas Grochowiak
50 Jahre Landtag Nordrhein-Westfalen
Begegnung mit Zeitzeugen
– Malerei und Skulptur –
Vorwort
Die Ausstellung »Begegnung mit Zeitzeugen. Malerei und Skulptur«, die zum 50jährigen Jubiläum des Landtags Nordrhein-Westfalen präsentiert wird, will an die Aufbruchzeit nach 1945 erinnern. Karl Otto Götz, Bruno Goller, Thomas Grochowiak, Ernst Hermanns, Bernard Schultze, Emil Schumacher, Heinrich Siepmann und Hann Trier stehen mit ihren Namen stellvertretend für die Maler und Bildhauer, die dazu beigetragen haben, daß Deutschland auch im Bereich der Kunst aus der Isolation der Nazizeit herausfand und die Region an Rhein und Ruhr sich in einem halben Jahrhundert zu einer der dichtesten Kulturlandschaften der Welt entwickeln konnte.
Die Ausstellung im Landtag soll Ausdruck des Dankes des nordrhein-westfälischen Landesparlaments und seiner Abgeordneten an jene Künstler der ersten Stunde sein, denen in einer Zeit der Not, des Elends, der Trauer und der Ungewißheit die Aktivierung junger, schöpferischer Kräfte der Bildenden Kunst gelang.
Was damals in einem umgebauten Luftschutzbunker in Recklinghausen zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, befindet sich heute in wichtigen Museen des In- und Auslandes. Die Kunstwerke stellen ein Erbe dar, an dem sich junge Künstler von heute orientieren. Es ist ein Erbe europäischer Kunst und Kultur, das schon damals seiner Zeit weit voraus war, Grenzen überwunden hat, in die Zukunft hineinwirkt und Maßstäbe für europäisches und internationales Denken setzt.
Dankbar sein dürfen wir auch, daß es vor allem breite Schichten der Bevölkerung an Rhein und Ruhr waren, die mit ihrer Begeisterungsfähigkeit und Aufgeschlossenheit das künstlerische Schaffen nach 1945 unterstützt haben.
Ulrich Schmidt
Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen
Interview mit Thomas Grochowiak
Der »junge westen«
und die Wiederbelebung
der Bauhaus-Idee
Herr Grochowiak! Sie sind jemand, der den Wiederaufbau in Nordrhein-Westfalen an unterschiedlichsten Stellen von Anfang an mitgestaltet hat. Wie war das nach dem Kriege, nach zwölf Jahren Nazizeit und totaler künstlerischer Abstinenz? Gab es Kontakte der Künstler untereinander? Oder waren Sie auf sich allein gestellt?
Thomas Grochowiak: Ein großer Fragenkomplex! Also, 1945 stand man zunächst vor einem totalen Chaos. Die Städte lagen in Trümmern. Die Künstler: die meisten waren Soldaten gewesen oder hatten in Rüstungsbetrieben gearbeitet. Man wußte nicht, wer überlebt hatte. Viele hatten sich dazu aufs Land verkrümelt, weil man da Notwohnungen tand und eventuell Eier, Butter gegen Bilder tauschen konnte. Es war anfangs schon ein Glücksfall, wenn man von dem einen oder anderen wieder hörte oder sogar Bilder sah.
Solche Lebenszeichen erhielt man gelegentlich über die Zeitung, die von den ersten kleinen lokalen Ausstellungen berichtete. Dann der Rundfunk: Er spielte eine unschätzbare Rolle für erste kulturelle Aktivitäten und den Kontakt untereinander. Unvergeßlich die Sendungen zur Nacht von Dr. Carl Linfert mit den Streitgesprächen über Kunst. Dachstübchen dienten als Atelier, Ein-Meter-Leinwände – wenn man sie ergattern konnte – wurden als Großformat gehandelt. Zur Frage der Kontakte: Erst einmal weiträumig soviel wie Null! Köln, Düsseldorf zu Rad oder per Anhalter: Tagesreisen! In Witten war es Peter Noelle, der schon früh französische Künstler ins Museum brachte, in Recklinghausen Franz Große Perdekamp, ein Freund von Josef Albers – Schaltstellen im Ruhrgebiet, etwas später auch bei Albert Schulze Vellinghausen. Ein wichtiger Mann, der seinerzeit als Theaterkritiker für den »Mittag«, später für die Frankfurter Allgemeine arbeitete, war ASV, ein furchtbar neugieriger Mensch, der sehr gern mit Künstlern herumhexte. Er lebte und schrieb in einem Bauernhof bei Dorsten. Und als er ein Bauernhaus in der Nähe von Dortmund erbte, hat er kleine Atelierzimmer darin eingerichtet und Ausstellungen inszeniert. Damals war dieser Hof ein Künstlertreff und wuchs zu einem kleinen Museum für die »avantgardistischen« Künstler, wie er sie sah. Einen ebenso überraschungsreichen Treff gab es bei Rolf Jährling in seinem »Parnass, drei Treppen hoch« in Wuppertal. Auch die Kunstvereine, die zuerst wieder auflebten, boten Orientierung über die deutschen Grenzen hinaus – Düsseldorf und Köln waren für uns zunächst noch nicht so präsent, aber in Düsseldorf gab es einen Mann, der uns von Anfang an imponierte. Das war Dr. Werner Doede, der im Kunstmuseum Düsseldorf wirkte und selbst malte. Ein Pionier! Er hat zum Beispiel die Ecole de Paris von Léger bis Hartung oder Henry Moore hierher gebracht.
Glauben Sie, daß die Besatzungsmächte gezielt erzieherisch auf die Menschen in Deutschland einwirkten und sie nach der lsolation der Nazizeit an die moderne Kunst heranführen wollten? Oder waren Ihre Beziehungen zur französischen und amerikanischen Kunst lediglich das Ergebnis persönlicher Kontakte?
Thomas Grochowiak: Nein. Das hatten sich die Besatzer wirklich zur Aufgabe gemacht, und wir haben das dankbar genossen. Es gab einmal die Franzosen, die dadurch große Politik machten. Es gab auf der anderen Seite den British Council mit den »Brücke«-Einrichtungen, die nicht unwichtig waren. Und es gab die Amerika-Häuser, zum Beispiel in Frankfurt – wo ich Bernard Schultze kennenlernte –, in denen man die internationale Kunst-Literatur »fressen« konnte. Unser Wissen über das, was draußen passierte, direkt nach dem Kriege, das holte man sich in den Lesesälen dieser drei Institutionen. Uns durch Kulturereignisse wieder dahin zu bringen, wo wir schon vor Hitler waren, und ihrer aktuellen Kunst zu begegnen, das war sicher eine politische Entscheidung der West-Alliierten.
Welche Rolle spielte Sandberg vom Stedelijk Museum in Amsterdam?
Thomas Grochowiak: Jongheer Willem Sandberg war von Anfang an für uns hier im Westen der wichtigste Mann. Das Stedelijk Museum hat in der damaligen Zeit Weltkunst der Moderne gezeigt, manchmal drei bis vier Ausstellungen in einem Monat. Alle Welt pilgerte dorthin! Es war Sandberg, der als erster die Naiven und wie das New Yorker Museum of Modern Art formschöne Dinge zeigte. Das hat uns sehr interessiert, direkt nach dem Krieg. Sandberg hat auch als erster eine Ausstellung deutscher Kunst mit dem »jungen westen« gezeigt. Ich konnte damals sein Vertrauen unter anderem gewinnen, weil ich sagen konnte, daß die Gewerkschaften dahinter stehen. Das war ganz wichtig, denn schließlich war Sandberg ein führender Mann der holländischen Widerstandsbewegung gewesen, und nun stellte er deutsche Kunst aus. Empört darüber, haben sie ihm in seinem Privathaus die Scheiben eingeschlagen.
Sandbergs Beispiel folgend, waren einige Museen darauf hinaus – und ich hatte das auch für Recklinghausen begonnen –, eine Sammlung schöner Gebrauchsformen zusammenzustellen. Wir hatten so eine missionarische Ader und fragten uns angesichts der Trümmerstädte: Wie muß Architektur von heute aussehen, damit möglichst viele Leute ganz schnell und mit wenig Aufwand trotzdem eine schöne Wohnung und einfache, praktische, formschöne Gebrauchsgegenstände haben? Ehrlich: Damals hielten wir nicht viel von den Gründerzeitbauten und vom Jugendstil. Die Bauhausidee, das war es, die mußte wieder her.
Wie und wann ist es eigentlich zu diesen so engen Kontakten untereinander, zum Beispiel zu Schumacher oder Siepmann gekommen? Und was ist mit dem »jungen westen«?
Thomas Grochowiak: Das war so: Eines Tages las ich in der englisch lizensierten Zeitung, daß es in einer Buchhandlung in Bielefeld eine Ausstellung von zwei Malern gäbe, Emil Schumacher und Gustav Deppe. Ich hab’ mich aufs Rad gesetzt und bin dorthin gefahren. Und sah dann die Bilder und habe gedacht, »die mußt Du kennenlernen, die müßten doch für Recklinghausen was sein«. Hier wollte Franz Große Perdekamp junge Maler und Bildhauer aus der Region zusammenführen und mit ihnen einen Künstlerbund gründen. In seinem Haus traf ich mich mit Deppe und Schumacher. Wo aber ausstellen? Mir kam die Idee, in Recklinghausen, in der leerstehenden Lebensmittelabteilung des Karstadt-Gebäudes die geplante Ausstellung »Junge Kunst zwischen Rhein und Weser« einzurichten, die 1947 zustande kam. Daraus kristallisierte sich eine kleine Gruppe, die sich in ihren künstlerischen Zielen und durch Freundschaft verbunden fühlte,
Und wer war das?
Thomas Grochowiak: Das war zunächst das Dreigestirn Schumacher, Deppe, Grochowiak. Dann kamen dazu Hans Werdehausen aus Essen, Ernst Hermanns aus Münster, Heinrich Siepmann aus Mülheim: bis auf Hermanns alle typische Kinder aus dem »Ruhrpott«. 1948 wurde der »junge westen« gegründet. In einem Turm-Gebäude, das wir von der Stadt Recklinghausen bekamen, haben wir sechs uns so oft wie möglich getroffen und so allerlei ausgeheckt. Wir wurden ja statt »junger westen« der Wilde Westen genannt, auch als Homosexuelle verdächtigt, weil – so wurde kolportiert – »wer so abartig malt, der auch abartig sein« muß. Und abartig, das stand damals für homosexuell.
Ja, so sah das aus, direkt nach dem Krieg. Es gab da unglaubliche, die Nächte hindurchgehende, mit Leidenschaft geführte Diskussionen. Die Frauen waren immer dabei und mischten auch fleißig mit. Der »Quadenturm« wurde bald zu einem bekannten, begehrten Treff, wo sich auch ausländische Künstler und Kritiker, Museumsleute, Sammler und auch Schauspieler und Regisseure ein erwartungsvolles Stelldichein gaben. Einen engeren Kontakt gab es zu Meistermann, Grieshaber, Berke, Götz und Trier, die gerne mit uns ausstellten.
Den Lebensunterhalt verdiente ich durch Zeichenunterricht an einer höheren Schule. Bei Siepmanns und Deppes hatten die Ehefrauen ein gesichertes Einkommen. Bei Hermanns, Werdehausen und Schumachers, allein auf sich gestellt, kam nicht regelmäßig Geld ein – damals! Für die Städtische Kunsthalle wurde dann, wenn’s ging, ein Bild gekauft. Auf diese Weise kamen viele exzellente Arbeiten von Schumacher und Werdehausen, aber auch der anderen »jungen westler« mit relativ wenig Geld nach Recklinghausen.
Franz Große Perdekamp, unser väterlicher Freund, wollte mit uns so etwas wie ein neues Bauhaus kreieren. Wer weiß, es wäre vielleicht dazu gekommen. Ich hatte nämlich Aussicht, in Dortmund die damalige Werkkunst-Schule zu leiten. Und da hätten wir so quasi den Bauhaus-Gedanken wiederbeleben wollen. Damals haben die Messen es nie versäumt, ins Zentrum eine Ausstellung »Die gute Form« oder »Die schöne Form« zu stellen Aber da waren in Recklinghausen die Ruhrtestspiele – Sie erinnern sich: »Kohle gab ich für Kunst – Kunst gab ich für Kohle« –, die mich sowohl künstlerisch als auch von der sozialen Sicht her doch sehr interessierten ...
Hat der »junge westen« bei den Ruhrfestspielen mitgewirkt?
Thomas Grochowiak: Natürlich, besonders in den ersten Jahren. Schon in der ersten Ausstellung mit Blickrichtung auf Europa, »Französische und deutsche Kunst der Gegenwart – eine Begegnung«, waren Künstler des »jungen westen« dabei. Voll eingestiegen, in Idee und Gestaltung, sind wir dann in »Mensch und Form unserer Zeit«, 1952, wo im unmittelbaren Nebeneinander moderne Bilder und Skulpturen mit Elektromotoren, Isolatoren, Wohnmöbeln und formschönem Hausrat konfrontiert wurden. Diese damals so antimuseale Präsentation brachte besonders die Museumsleute in Rage und den »jungen westen« auch international ins Gespräch. Es ist nicht ohne Bedeutung, daß für diese und alle nachfolgenden Ausstellungen, auch die des »jungen westen«, ein Luftschutzbunker, einmalig in Deutschland, zu einer Kunsthalle umfunktioniert wurde
Es gab nach dem Kriege zwei Möglichkeiten für einen Künstler und auch für das Publikum: Entweder knüpfte man wieder an die Bauhaus-Tradition von vor 1933 an. Oder die andere Möglichkeit war ja wohl, alles zu vergessen und sich an der Avantgarde in Frankreich und später in Amerika zu orientieren. Wie haben sich die Leute mit diesem Konflikt zurechtgefunden? Oder hat es da Hilfestellung von irgendeiner Seite gegeben?
Thomas Grochowiak: Ja, was die Ruhrfestspiele betrifft, sicherlich, aber da ging es ganz elementar um das Verständnis der modernen Kunst. Ich bin ja nun wirklich wie ein Wanderprediger durch viele Betriebe gegangen und habe den Arbeitern unsere Ausstellungen schmackhaft gemacht. In den großen Werken machte man damals noch jedes Jahr von den Betriebsangehörigen große Laienausstellungen Das war ein Anlaß. Da habe ich dann die »Naiven« entdeckt, unter tausend Malern vielleicht einen
Uns war damals klar: Wenn wir die Leute für Kunst interessieren wollen, dann müssen wir die Kunst zu ihnen bringen, dann soll man nicht warten, bis sie von allein ins Museum kommen. Aber die Arbeiter hatten natürlich Schwellenangst, ein Museum zu betreten. Sie meinten: »Das ist was für die Studierten.« Darin sehe ich eine Pionierarbeit der Ruhrfestspiele, daß wir sie ermunterten und überzeugten: »Das ist Eure Ausstellung, dahinter steht Eure Berufsorganisation, Eure Gewerkschaft!« Und so kam es dann, daß sie vor Bildern von Schumacher oder Baumeister standen, schauten und Fragen stellten und mit den Künstlern ins Gespräch kamen, ja selbst ins Atelier kamen.
Noch eine letzte Frage: Fünfzig Jahre Entwicklung mitzuerleben gibt einem ja eine Sicherheit, auch eine Prognose zu wagen. Was wird aus dem Kulturland Nordrhein-Westfalen? Werden wir uns auch in Zukunft neben den vielen neuentstandenen Kunstmetropolen, zum Beispiel in Amerika, aber auch zum Beispiel im Verhältnis zu Berlin, behaupten können?
Thomas Grochowiak: Das ist eine Frage, die was mit durchhaltendem Elan, Erfindungslust und Wagemut mit Blick auf morgen zu tun hat. Wir haben hier doch wirklich mehr als nur eine Handvoll couragierter Museumsleute oder Intendanten, die auch international Furore machen. Und gucken Sie sich die Besetzung unserer Kunst- und Musikakademien an! Und die Künstler hierzulande: Beim Kunstpreis »junger westen« zum Beispiel, den die Jungen beschicken, erlebt man, daß manch einer der einstigen Eleven der Götz und Schumacher, der Beuys und Uecker und Richter Staunen macht.
»Behauptung in der Zukunft« ist aber auch eine Frage an unsere Politiker in Stadt und Land, ob sie bei Förderung und Höhenflügen in der Kunst mitziehen, nicht nur mit Deklarationen, sondern mit den notwendigen finanziellen Stützen. Übrigens, unsere Region war nie ein kulturelles Ödland – auch vor dem Kriege nicht. In den einzelnen Orten tat sich immer schon sehr viel, und selbst die kleinen Städte hatten ihre literarischen Gesellschaften, Kammerkonzerte oder Ausstellungen. Nur wurde das kulturelle Leben, besonders der Industriestädte des Ruhrgebiets, durch die überregionalen Medien stiefmütterlich behandelt.
Glücklicherweise gewinnen die im politischen Raum meistens noch die Oberhand, die mit weltoffenem Geist – hier sollten wir übrigens auch auf einige Kunstsammler und Galeristen hinweisen, denn auch die prägen das Image unseres Landes – über unseren engeren Raum hinaus und mit dem Blick für das Außergewöhnliche die künstlerischen Aktivitäten und internationalen Kontakte fördernd begleiten. Wenn das so bleibt und sich steigern läßt, wird Nordrhein-Westfalen in der Welt – auch im Vergleich zu Berlin – ein Land bleiben, das durch attraktive Kunst-Ereignisse und seine wirklich kulturelle Vielfalt im Gespräch bleiben und sich als Kunstmetropole behaupten wird.
Mit Thomas Grochowiak sprachen am 26. Juli 1996
Heinrich A. Große-Sender und Armin Zweite.
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