Thomas Grochowiak

Über Rom

Gleich bei meiner Ankunft in ein Gartenfest geraten: Römer und Künstler wechseln den Weg vom Weinausschank zum Ausstellungssaal und zu den Atelierhäusern. Open-Atelier für Freunde und Fremde. Spät abends sind wir dann unter uns, die Stipendiaten und Ehrengäste ...

So wurde ich von der legendären Villa Massimo, der Accademia tedesca, wie es neben dem mächtigen Portal zu lesen ist, empfangen und eingenommen. Welch ein prachtvoller Park! Darin üppig grünende Hecken, blumendurchwirkter Rasen, Kieswege, hoch hinausschießende Zypressen, Pinien, Agaven, sich ausbreitend aus dickbauchigen, römischen Amphoren. Und überall im Park verstreut: Römische Statuen und Sarkophage, die einem bis in die pompöse Villa in pompejianischem Rot, weiß abgesetzt, lagernd – begleiten. Breite Kieswege führen von hier zur Parkstraße, wo sich Atelierhaus an Atelierhaus reiht. Atelier 10, dem »Villino«, einer kleineren Gästevilla, benachbart, wird für zweieinhalb Monate mein Domizil. Hoehme und Antes, u. a., haben es vorher bewohnt. Welch ein Atelier: Die Dimension einer Ausstellungshalle! Welche Flut von Licht, welch wolkenfreies Himmelblau bricht da herein! Man lebt sich ein, spann die ersten Papierbogen auf. Gott, wie klein erscheinen mir meine gewohnten Formate. Doch in Rom kann man das berühmte Fabriano-Papier in Rollen erstehen. Zwei großformatige Flächen sind bereits auf die Atelierwände geheftet. Tagelang gehe ich herum, wie die Katze um den heißen Brei. Inzwischen bewährt man sich an Bewährtem, merkt, dass man mehr Farbe riskiert, die einem ja auch beim Blick durch die riesige geöffnete Ateliertür aus dem blühenden Park buchstäblich in die Augen fällt Man gewahrt, dass die Zeichen, mit denen man zu Hause auf den Bildflächen sicher hantierte, mitgeflogen sind nach Rom, sich nicht verdrängen, aus dem Kopf schlagen lassen wollen und den noch fremden Formen und Reizen mediterraner Atmosphäre und Umwelt im Wege stehen.

Dann die erste Attacke auf die großformatigen Malflächen: Mit farbigen Tuschen im konkurrierenden Fließen und Leuchten mit den Farbkaskaden der Flora und Parklandschaft. Vogelgesang in vielfältigen Melodien und Musikfetzen aus dem benachbarten Atelier als stimulierende Beigabe mischen sich ein.

Das Ambiente im Park der Villa Massimo und Rom zeigen Wirkung. Gelöster setzt der Pinsel Zeichenmelodien, üppiger, quellender und leuchtender spielen die Farben im römischen Konzert.

Begegnungen mit jungen Komponisten von nebenan intensivieren Wechselbeziehungen. Schriftsteller und Architekten gesellen sich hinzu, wenn in den warmen Julinächten weinselig untereinander palavert wird. Villa Massimo in Rom – von Atelier zu Atelier ein knisterndes Spannungsfeld sehr individueller Artikulationen und gelegentlich sich anbahnender Freundschaften. Entrückt vom Druck eingefahrener Pflichten und Betriebsamkeit, hat diese kurze Zeit in Rom leuchtstarke Spuren gezogen, Signaturen gesetzt und erhellende Einsichten auf dem Weg zurück nach vorwärts erzeugt.

Aus dem Katalog:
Römische Reflexionen und Rückschau 1932 bis 1985
Kunstverein Oberhausen
Städtische Galerie Schloss Oberhausen
12. Oktober–10. November 1985