Dr. Heinrich Hahne

Selbstsicher wie Natur

Zu Bildern von Thomas Grochowiak

Thomas Grochowiak, ein Mann der ersten Stunde, wie man so sagt oder sagte, auch er, den Turbulenzen dieses Jahrhunderts und im besonderen der Orientierungslosigkeit in den Nachkriegsjahren ausgesetzt, hat als Maler, trotz seiner bewussten, aber redlichen Experimente eine unverwechselbare Handschrift bewahrt. Er begann in fast problemloser Wirklichkeitstreue mit dem Kult der einfachen Dinge, wie man ihn bei uns seit den zwanziger Jahren geschätzt hat Dann vereinfachte er die Bildinhalte und profilierte die Umrisse von Geräten und Früchten im Sinne eines konstruktiven Realismus. Die Distanz zum Erfahrbaren und der Verzicht auf die perspektivische Raumillusion markieren um 1950 jene tiefe Veränderung, die er bis heute beibehalten hat In allgemeiner Übereinstimmung mit dem internationalen Informel macht er von der produktiven Freiheit der Vorstellung und ihrer freizügigen Darstellung auf den Bildflächen Gebrauch. Nach Öl und Pastell bevorzugt er die Intensität der synthetischen Farben in Blau und Rot, in Orange und Grün und in Verbindung mit ihnen die schwarze Tusche. Von nun an bestimmen in quantitativen und qualitativen Abstufungen Farbbalken, vorwiegend horizontal, manchmal auch vertikal oder sogar schräg, den Aufbau; schwebende oder auch taumelnde Farbflächen, manchmal einander überschneidend und durchdringend, spielen miteinander oder bedrohen wie ein dichtes, fast unheimliches Gespinnst die innere Ordnung der Bilder.

Wenngleich nicht im klassischen Sinne komponiert, ist die anschauliche Organisation, die immanente Spannung der Bildelemente, gerade sie, ein Wesensmerkmal dieser Kunst. Die Spannung zwischen dem Statischen und Dynamischen wird an zahlreichen Modifikationen erprobt. Die Bildränder werden in der Regel respektiert, und in diesem »Rahmen« versammelt ein meistens exzentrischer Schwerpunkt die Vorgänge. Die oft kräftig betonten Farbbalken oder Farbbahnen bringen zwar Festigkeit, aber keine Nötigung ins Bild. Sie erlauben den freien Tanz schwungvoller Pirouetten oder den spritzigen Wirbel sperriger Partikel. Dann sind sie wie Handflächen, die den Rhythmus der Gestalten und Farben in freier Anpassung ausbalancieren. Diese Bildereignisse sind den bewegten Vorgängen der Natur, ihrem Spiel im Wind oder auf den Wellen verwandt. Weit von den gemessenen und dauerhaften Gesetzen, etwa des Himmels und überhaupt der Mechanik, entfernt, gäben sie sich in ihrer Ungebundenheit willkürlich und fast schon frivol, wenn sie nicht im Grunde und mit Recht auf das elastische Gleichgewicht des Daseins vertrauten. Denn alles hält sich oder wird gehalten. Hier gibt es keine Katastrophen und keine Gewalt. Alles muss irgendwo bleiben, selbst wenn es, scheinbar missachtet, an den Rand gedrängt ist oder fürwitzig im Bodenlosen schwebt. So sind diese Arbeiten der frühen Jahre und Jahrzehnte auch Zeugnisse einer freien, selbstsicheren Menschlichkeit.

Schon Wols hat in vergleichbarer Weise, auch er, mit einem Zug ins Phantastische, aber heftiger, dichter und manchmal fast verbissen, seine Spuren auf die Fläche gekritzelt. Auch die Verwandtschaft Grochowiaks zu Emil Schumacher, zu Gerhard Hoehme und Bernhard Schultze hat sich durch Jahre hin erhalten. Um 1960 gibt es auch nahe Berührungen zu Hann Trier. Doch was bei Pollock, dem Ahnherren, kraus und hart wie Drähte, was bei Vieira da Silva wie sperrige Stadtveduten wirkt; was etwa bei Emilio Vedova oder bei Théo Kerg an Explosionen erinnert, was Adolph Gottlieb in stimmungsvollen Vereinfachungen in eine kosmische Weite entrückt und Henri Michaux von prärationalen Erlebnissen berichtet, das ist und bleibt für Thomas Grochowiak schwingend und leicht, in greifbarer Nähe und fast selbstverständlich wie Natur.

Während andere Maler der fünfziger Jahre schon nach anderen, neuen Anregungen suchten, dabei sogar die Fläche aufgaben und sich im Dreidimensionalen umsahen, hat Grochowiak den gemeinsamen Ausgang im Blick behalten und ihn unter immer neuen Gesichtspunkten und Wirkungen variiert. So war man gespannt, was der Maler nach fast zwei Jahrzehnten, in denen er sich kaum an Ausstellungen beteiligte, zu sagen hat. Man sah neue Arbeiten (nach einem Aufenthalt im Fernen Osten) zuerst 1984 im Märkischen Museum in Witten. Es schien, dass er drüben im Skripturalen bestärkt und bestätigt worden ist. Deswegen könnte man auch auf den »Römischen Reflexionen« Einwirkungen vermuten, die ihrerseits vielleicht dem Mediterranen korrespondieren. In diesem Sinne sind die Grundzeichen dieser Malerei in der Tat wohl einfacher, sparsamer, sogar architektonischer geworden. Geblieben ist die bewährte Ungegenständlichkeit. Fast verschwunden sind die wirbelnden Rhythmen, das Krause also und manchmal sogar Diffuse. Geblieben ist die Subtilität im Detail. Spürbarer geworden ist die atmende Gelassenheit der Spannungsfelder und beherrschend, wie es scheint, eine meditative Stille, deren humane Wirkung auf den Betrachter wohl weit über den unmittelbaren Anlass dieser Ausstellung hinausgeht. Geblieben sind auch die leuchtenden Farben, die Balken in Blau und Gelb und die Scheiben in Rot und Grün. Sie schweben wie ehedem, sind aber bestimmter und deswegen auch eindringlicher in die Bildspannung einbezogen. Sie sind gelassene Schwerpunkte, bald wie ein grüner Mond zwischen blauen Wolken, bald wie eine dunkelrote Sonne am Abendhimmel, schon von einem nachtschwarzen Schaffen wie von einem tastenden Finger angerührt Geblieben ist die Spannung in der Fläche, aber auch Spannung in die Tiefe; geblieben ist also die Zweischichtigkeit der Bildordnung. Doch nun fährt über die Hintergründe oder Untergründe brauner oder roter Ovale, der gelben oder blauen Balken der schwarze Blitz eines Schriftzeichens, als sollte oder wollte er ihre stille Anwesenheit auslöschen. Vielleicht ist es auch ein heftiger, namenloser Namenszug, entschlossen und temperamentvoll, wie das Signum auf einer reichen Lebensarbeit.

Aus dem Katalog:
Römische Reflexionen und Rückschau 1932 bis 1985
Kunstverein Oberhausen
Städtische Galerie Schloss Oberhausen
12. Oktober–10. November 1985